UrAUFFÜHRUNG

Karla Kojote macht weiter

von Tilman Neuffer

 

Stück

Nach KARLA KOJOTE und KARLA KOJOTE AUF DEM SONNENDECK ist endlich der 3. Teil der Karla Kojote-Trilogie zu sehen: Karla steht wieder auf der Bühne! Und sie macht, was alle von ihr erwartet haben:

Was hat sie nicht alles schon erlebt und überlebt! Einen heftigen Lebenswandel, ihre Mutter DIESE ALTE HEXE und jede Menge Jobs. Nur sind in letzter Zeit die Jobs immer schneller geworden: "Ich arbeite ständig, glaube ich, und bin ständig auf Urlaub. Aber ich weiß das nicht so genau!" Aber Karla ist kein Opfer, sie bringt höchstens Opfer. Und zwar zielorientiert! Für Jugendlichkeit, Bildung, Charme, Geld, Schönheit und was man sonst noch braucht für ein Leben auf dem Sonnendeck. Und KARLA KOJOTE MACHT WEITER!

Immer in Bewegung. Rein in den Flieger, raus aus dem Flieger und keine Ahnung, wo man ist. Dann Absturz, kein Sonnendeck mehr, sondern ein Scheiterhaufen und warum arbeite ich eigentlich? Fremd- oder Selbstbestimmung und lohnt es sich eigentlich, mich kennen zu lernen? Wer bin ich ohne Arbeit? Sehnsucht, sich in Erlösungsmaschinen aufzulösen und gleichzeitig unabhängig zu sein von dieser SCHEISSWELT. Große Fragen werden gestellt und gleich als geniale Selbstvermarktungsstrategie enttarnt. Das ist brutal, aber realistisch. Und KARLA KOJOTE MACHT WEITER!

Zum Glück hat Karla Freunde, eine grenzenlos optimistische Wohnung und Brad Pitt. Und Untergewicht, eine Riesenwut, eine Identität oder vielmehr die Auflösung derselben und LEBENSWILLEN. Denn Kojote ist Natur, vielfältig, flexibel, heterogen, täuschend, illusionistisch, spielerisch, ein Prozess kontinuierlicher Neuerfindung. Und KARLA KOJOTE MACHT WEITER!

Presse

"Große Fragen werden im Gebäude 9 in Köln gestellt - 'Lohnt es sich eigentlich, mich kennenzulernen?' - auf die es keine Antwort geben kann. Denn bekanntlich gibt es kein richtiges Leben im falschen. Der Markt beherrscht alles, jede Gegenposition ist deutbar als Kalkül, als clevere Selbst-Inszenierung oder -Vermarktung, als Bestätigung des Status quo, als Augenzwinkern, als unecht. Der analytische Blick im Zeitalter der Relativität: nur mehr Braingym. Oder Poptheater. Wie im fiktiven letzten Teil einer fiktiven Trilogie über Karla Kojote, Heldin unserer Zeit.
Über das Individuum im Zeitalter der Konsumdemokratie. Mit Raum-Video-Installation. Macht Spaß, das Theater. Und Ernst. ... Ein Trio, das in Wortkaskaden schwelgt, das komische Potential der Wiederholung und Variation auskostet, aufeinander eingespielt wie aufmerksame Tennisspieler. Isis Krüger als Karla startet im Weibchen-Schema, löst sich vom Kontext, echte Verwirrung im Auge, immer einen Hauch Naivität und geradlinige Wahrheitssuche in der Hinterhand.
Patricia Harrison, im Ensemble des Bonner Schauspiels, gibt der Pyrania eine Mischung aus Anteilnahme und Sorge, die als Freundschaft verstanden werden könnte; doch ihr Unterton bleibt gefährlich, ihre Mission ungewiss und zwiespältig.
Frank Albrecht als Norbert Natter spielt den Mittler zwischen den beiden, auf Ausgleich bedacht, aber nicht aus selbstlosen Motiven; das Zünglein an der Waage, unberechenbar und wetterwendisch. Die Klarheit, die Karla in ihrem Leben nicht finden kann, findet sich jedenfalls im Raum von Hendrik de Wit."
theater heute, Oktober 2002

"Dem Verblendungszusammenhang auf der Spur, klingt der Text wie eine remixte Soundcollage von Adorno-Fugen und Ally McBeal-Zitaten. Momentaufnahmen aus dem beschädigten und zu Tode beschleunigten Leben, heiter, etwas profan, manchmal polemisch mit dem Hammer philosophiert. Die Figuren sind Grenzgänger der Gefühle, besonders Karla, die Isis Krüger als mehrstimmiges, vielgesichtiges Girl spielt, das an der Grenze zur Hysterie lebt.
Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zum Borderline-Syndrom, das die Identität aufhebt. Die auf Bildschirmen laufenden Kojotenbeine symbolisieren die multiple Persönlichkeit. Patricia Harrison und Frank Albrecht spielen Karlas Freunde als scharfsinnige Karikaturen, ohne die Figuren lächerlich zu machen.
Dagegen verlässt sich Neuffers Regie auf die Mechanismen des Textes. Die schnellen Passagen schnappen wie Scharniere ineinander, in den längeren gerinnt es manchmal zur Poesie: Einmal wird Karla gefragt, wie sich das Scheitern anfühle: Wie Blut in Honig, sagt sie, bittersüß. Darin steckt die gesampelte Dialektik der Aufklärung. Es gibt kein wahres Leben im falschen. Aber das wahre falsche Leben läuft auch nach 80 kurzweiligen Minuten weiter. Und läuft und läuft und läuft."
Süddeutsche Zeitung, NRW, 6. September 2002

Fotos

Mit:
Patricia Harrison,
Isis Krüger, Frank Albrecht

Regie: Tilman Neuffer

Raum: Hendrik deWit

Video: Simon Vogel,
Hendrik deWit

Kostüm: Eva David

Sounds:
Norbert Rodenkirchen

Dramaturgie: Rosi Ulrich

Assistenzen:
Christine Knecht,
Johanna Latz

Fotos: Thilo Beu

Premiere 29.8.20002