URAUFFÜHRUNG - Nominiert zum Kölner Theaterpreis 2015

MERRY-GO-ROUND

- eine deutsch-bulgarische Familien-Saga über Fluch und Glück in der Migration

MERRY-GO-ROUND entstand in den Versionen /2014-BG-DE und /2015-BG-DE auf der Basis von Interviews geführt mit Bulgaren, die in Deutschland und Deutschen, die in Bulgarien leben.

Stück

MERRY-GO-ROUND beschäftigt sich am Beispiel Bulgarien und Deutschland mit europäischen Migrationsbiografien, den Umständen und Ursachen, warum sich Menschen auf den Weg machen und ihre Heimat verlassen. Es zeigt wie die persönliche Identität durch globale Zusammenhänge geformt wird, wie Zuschreibungen die Umstände so verändern, dass die Menschen ihr Leben nicht so führen können, wie sie wollen. Der Einfluss der Politik auf die Identitätsentwicklung bildet sich in den Biografien der Figuren ab. Sie alle haben Wünsche und Vorstellungen von ihrem Leben, doch immer wieder werden diese vom Weltgeschehen unterbrochen. Das Stück handelt auch von Gewalt und ihrer Entstehung, von Schuld und den Versuchen von Versöhnung. Es braucht Menschen wie Orpheus, die als Mittler versuchen Kriege zu verhindern. Und MERRY-GO-ROUND erzählt die verworrenen Beziehungsgeschichte(n) zweier europäischer Länder und ihrer Menschen, die so wenig voneinander wissen. Es verfolgt Menschen, deren Leben geprägt ist von Krieg, Flucht und Vertreibung, den Zeiten des Kalten Krieges und der Euphorie der Wende. 25 Jahre nach der Öffnung des Ostens erschafft die Inszenierung ein europäisches Stimmungsbild am Beispiel von Deutschland und Bulgarien, einem jungen EU-Mitglied.

Presse

"Herausgekommen ist ein sensibles Stück über das Bewusstsein von Menschen und Nationen und seine Unabänderlichkeit. „Dem Schicksal zu entkommen, ist Sterblichen nicht erlaubt“, sagt Hel. Was die Götter nicht richten können, bleibt den Sterblichen als unüberbrückbare Last." (Romy Weimann: in choices, Köln)

"Widerstreitende Eindrücke. Vier umwerfend gute Schauspieler, die genau wissen, was sie tun, und nie gebändigt wirken. Aber sehr viele Wörter. Auch noch ständig in drei Sprachen. Und ein poetisch getexteter, hochkomplexer, ins Mythologische greifender Rahmen, dessen Notwendigkeit man lange nicht einsehen will. Am Ende steht dann Klarheit, bestimmter Ausdruck, versteht man, ist freudig dabei. Aber der Weg ist sehr weit. „Merry-Go-Round“ ist ein bilaterales Projekt. Künstler aus Deutschland und Bulgarien beschäftigen sich gemeinsam künstlerisch mit Migration. ... Der aktuelle Zugriff ist ungewöhnlich, vor allem, weil die rein existenziellen Dinge nicht im Vordergrund stehen. Grausamkeiten und Vertreibungen, Hunger und Krankheiten kommen nur am Rande vor. Es geht um bürgerliche Schicksale, um Deutsche, die in Bulgarien, um Bulgaren, die in Deutschland leben, um Umgang mit dem Fremden und mit der Vorstellung, selbst ein Fremder zu sein." (Andreas Falentin in theater pur)

"Der Austausch der Vier während der endlos kreisenden Fahrt offenbart den gemeinsamen Traum von einem glücklichem Leben aber auch die damit einhergehenden Traumata, die das Streben danach mit sich bringt. Hat man über weite Strecken das Gefühl, der stumme Teil einer netten Mitfahrgelegenheit zu sein, kulminieren am Ende doch die Geschichten in einem intensiven Knackpunkt. ein jeder wird an seiner Achillesferse gepackt und individuelle Verletzungen treten zu Tage. In diesen Momenten ist die Inszenierung am stärksten, der Weg dorthin ist allerdings steinig.... Hervorzuheben sind die sehr guten Schauspieler, denen mit dem Gemisch aus Sprachen und Rollen, durchchoreografierten Passagen sowie einer musikalischen Performance einiges abverlangt wird. Unter dem hypnotischen Klangteppich von Sibin Vassilev entstehen außerdem schöne und sinnliche Bilder. Am wichtigsten jedoch bleibt das inhaltliche Anliegen, Verständnis für das Fremde zu schaffen."  (Ulrike Bauer: in NEUKOELLNER.NET, Berlin)

Video

 

Fotos

Textauszug

Orpheus:
Schöner Tau ist hingegossen / der Wind streicht zart über die grüne Wiese / die Rosen, die zarten Kerbelstauden und der doldenreiche Honiglotos sind erblüht. Der Sonne Strahl fällt durch das Blätterwerk / die Luft ist fein und zart. / In der Ferne hinter Bäumen, Sträuchern, Blumen bewegen sanft sich zarte Frauengestalten. / Die Arme stark so streben sie heran / heiß im Gemüt / die Fäuste geballt um harten Stein. / Eine Hand hebt sich empor / die Münder werden aufgerissen zu lautem Gebrüll versammelten Geschreis. / Sieh da, aus meinem Mund tropft schüchtern heiserer Gesang / schwebt kraftlos über diese Wiese. / Noch nie ist mir die Stimme verzagt, doch nun erreicht sie nicht der Frauen Ohr. / Ihr Brüllen drückt den lieblichen Klang nieder bis er verschwindet von den Lippen. / Ein Augenpaar blitzt mir entgegen / den Arm mit aller Macht gedehnt / bereit den Stein mit voller Wucht zu schleudern / gegen MICH? ja gegen Mich! /
Erstaunen ist’s, nicht Angst nicht Schrecken nicht Flucht nicht Wut nicht Ohnmacht nicht Verzweiflung ist’s, nein, allein Erstaunen erfüllt mich. Erstaunen, dass die Hand sich hebt, um all ihre Kraft zu sammeln den Stein gegen mich zu lenken. Wie ein Diskuswerfer auf olympischem Feld, der jede Faser seiner Muskeln, jede Sehne nur auf ein Ziel richtet, den großen Wurf, der ihm zum Ruhm ge- reicht. Erstaunen ist es, dass dieser Arm sich dehnt und dehnt nach hinten, dass sich der Rücken weit nach hinten lehnt, dass Beine, Rumpf und Schulter, der ganze Mensch in voller Spannung ist, und dass die so erreichte Kraft sich gegen einen Menschen wendet. Gegen Mich! Erstaunen über jeden neuen Schlag, der mich nun trifft. /
Erstaunen. Ja Erstaunen ist’s, dass schöner Tau ist hingegossen und Rosen sind erblüht. / Erstaunen auch, dass der, der dort am Boden liegt, tot ausgestreckt, dass ich das bin, ich, Orpheus, einst ein Göttergleicher, ohne Fehl und Tadel.

Odin:
Ein Grollen ... erst von fern ... doch es rückt näher. In der Schwärze dieser Nacht nichts zu sehen als das Dunkel selbst. Wieder tönt es dunkel durch den Wald, fernes Grollen wird zum nahen tiefen kehligem Gebrüll. ... Hör doch ... das Ungeheuer naht, der Fenriswolf. ... Schon riech ich seinen Odem. Reißend überkommt mich seine Kraft ... einen rasend kurzen Augenblick, dann ist es still.
Doch wieder rückt er an. Da öffnet sich das Maul und öffnet sich und weiter ... weiter, blutige Fetzen Fleisch fasern im Gebiss, die roten Lefzen keuchen Gier. Mein Arm hebt sich zur Abwehr in die Höhe. Doch nur mehr ein kraftlos müder Stummel hängt an der Schulter. Er wedelt auf und ab, wie eine zerfetzte Flagge in stürmischem Wind. In Stößen schießt das Blut dem Wolf entgegen. Zwei grüne Augen leuchten wie zwei Neonsterne und fliegen auf mich zu. Unendlich tief die dunkle rote Rachenhöhle an deren Eingang die weißen Spitzen des Zahngebirges blitzen, triefendes Maul in gierigem Gelüste. ... Weich bettet sich das dichte flauschige Fell um mich. Umfängt mich sanft und warm, mich fröstelnd bleichen Körper. ... Eiseskälte durchzieht mein Gebein, Froststürme fegen durch die hohlen Knochen. Kalt ist es nun in Asgardsheim, in Odins Reich.

Hel:
Es gab eine Zeit, da hatte ich ein zuhause, lebte geborgen im Schoss der Familie – glücklich!
Schwant dir wovon ich erzählen will.
Auch wenn wir, meine Brüder und ich nur Mischlinge sind, die Mutter Riesin der Vater Loki, ein Gott, so waren wir doch unschuldige Kinder. Das aber war den Asen ein Dorn im Auge. Rein sollte das Blut sein und nicht vermischt mit anderem. Sie sprachen böse über uns und prophezeiten schreckliche Zukunft, die wir ihnen bringen würden. Warum? Da wir doch zarte schuldlose Wesen waren – Kinder noch.
Sie überredeten dich! Erinnerst du dich an die Geschichten über Tod und Schrecken und Gefahr? – Ja? – Und einen Plan legten sie sogleich vor. Und du, du fragtest nicht – fragtest nicht, ob sie im Recht seien. Du holtest keinen zweiten Rat dir ein und du besprachst dich nicht mit unserer Mutter. Nein das alles tatest du nicht. Gerüchte allein genügten dir und verfestigten in deinem Herz das Vorurteil. Glaubst du ich hätte kein Gefühl und man könnte mit mir verfahren wie mit einem Tier? Nur weil ich ein Mischwesen bin? Ich fühle auch! wie du! Ich kenne Schmerz und Angst und früher da kannte ich auch Glück und Liebe! Das aber hast du mir geraubt, als hätt ich kein Anrecht drauf.

Cherona:
Mehrfach erfuhr ich Vertreibung am eignen Leib, verlor das Land, das ich mein nannte, mein Hab und Gut. Bescheidenheit war steter Gast in meinem Heim und öffnete für jeden Flüchtenden und Vertriebenen meine Tür. Nahm auf verstoßne und vertriebne Kinder, erzog sie, dass sie jetzt edle Helden sind. Erfand die Heilkunst der Kräuter und lehrte sie den Ärzten, die alsbald als die besten ihrer Zeit gerühmt. Rettete Sterbliche vor Krankheit und Tod. Von selbstloser Hingabe an die Menschen, die Helden und Götter zeugt mein ganzes Sein und nun da ich zum ersten Mal, mein Schicksal nicht mehr ertrage, kommt mir die erste eigennützge Bitte über die Lippen. Ist man es mir nicht schuldig, nach allem was ich gab, mir auch zurückzugeben? Niemals zuvor hatte ich böse Gedanken gegenüber Anderen, doch nun wächst Hass und Neid in meinem Gemüt. Hass regt sich gegen den einstigen Freund, der einen vergifteten Pfeil gegen mich sandte. Hass gegen das eigene Volk, die Centauren, die den Konflikt begannen. Neid gegen die Götter, die mir die Unsterblichkeit gaben. Neid gegen die gesunden Menschen und gegen all die Toten. Sei mein Fürsprecher, Orpheus, ich bitte dich.

Text©Rosi Ulrich

mit:
Mila Bancheva, Maria Faust, Oliver Schnelker, Vladislav Violinov & Sibin Vassilev

Konzept &
künstlerische Leitung:
Karin Frommhagen &
Rosi Ulrich

Bühne & Video:
Venelin Shurelov

Kostüm:
Elica Georgieva

Musik & Sounddesign:
Sibin Vassilev

Text:
Rosi Ulrich

Übersetzung &
dramaturgische Mitarbeit:
Silvia Petrova

Recherche:
Elly Nabel

PR & Öffentlichkeitsarbeit:
neurohr & andrä

Produktionsleitung:
Katja Kettner

Fotos:
MEYER ORIGINALS
Venelin Shurelov

Premiere: 11.11.2014